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27.03.2017 - Vor 170 Jahren - Gründung der Paradiesbettenfabrik M. Steiner & Sohn in Frankenberg

Zum Begründer der Frankenberger Bettenherstellung wurde der nach Frankenberg zugezogene Strumpfwirker E r n s t M o r i t z S t e i n e r. In der Freiberger Straße gründete er am 21.10.1847 ein Wirkwaren- und Handelsgeschäft. Es hatte zunächst zwei männliche und zwei weibliche Angestellte. Diese Einrichtung wurde erweitert und später an den Baderberg verlegt. In einem scheunenartigen Nebengebäude der Frankenberger Neumühle betrieb Steiner eine Krempelmaschine, die zur Verwertung von Woll- und Baumwollabfällen zu einem watteartigen Material diente. Damit konnten Vliesstoffe hergestellt werden, die zu mattenartigen Stapeln zusammengefügt wurden. Das Produkt harrte einer Geschäftsidee, die zu einer gewinnbringenden Vermarktung der Vliesstoffe führen sollte. Sie wurde von Ernst Moritz Steiner nach 1847 kreiert und von seinem Sohn Ernst Ottomar zur industriellen Reife weiterentwickelt. Diese Idee ermöglichte eine Veränderung der herrschenden (deutschen) Schlafkultur. Sie führte weg vom Federbett und hin zum Einsatz der von Steiner propagierten textilen Fasern. Ernst Ottomar Steiner wurde am 16.11.1849 in Frankenberg geboren. Nach dem Besuch der Frankenberger Bürgerschule, nahm er ab 1864 in einem hiesigen Geschäft eine Kaufmannslehre auf. Anfang 1870 trat er in das väterliche Geschäft ein und befasste sich mit der Nutzung der gekrempelten Sekundärfasern. Zwei Handstepperinnen verarbeiteten diese Fließwolle zu Steppdecken mit neuen Bezugs- und Füllstoffen sowie zu Fuß- und Rückenkissen. Am 02.11.1876 waren mit dieser Steppdeckenproduktion schon 14 Arbeiter befasst. Die rasante Betriebsentwicklung ließ die Zahl der Beschäftigten im Jahr 1897 auf 250 Personen ansteigen. Die Räumlichkeiten des väterlichen Geschäfts erwiesen sich als zu klein. O. Steiner verlegte ab 1880 seine Produktion in ein neues  Fabrikgebäude in Gunnersdorf. Hier ließen sich seine Ideen besser verwirklichen. Er änderte 1885 die Bezeichnung des väterlichen Betriebes in M. Steiner & Sohn, Steppdecken- und Reformbettenfabrik. 1887 eröffnete Steiner an der Chemnitzer Straße repräsentative und neu errichtete Fabrik- und Kontorgebäude, ein neues Kessel- und Maschinenhaus und Gebäude für die Färberei, Trocknerei, Krempelei und Maschinennäherei.

Durch die Konkurrenz war Steiner gezwungen, ständig Neuheiten zu entwickeln. Er erfand ab 1880 neue Lösungen für den Betten- und Matratzenmarkt. Er erneuerte die Matratzenproduktion und entwickelte neue Formen und Technologien für dazu angepasste Betten. Für diese Innovationen wurden Steiner 27 deutsche Patente und 60 Gebrauchsmuster verliehen. Seine Erfindungsansprüche ließ er sich auch durch mehr als 20 Auslandspatente (z.B. in Österreich, Frankreich, Großbritannien, USA und in der Schweiz) schützen.

Er erkannte die Bedeutung der Reklame und Eigenvermarktung seiner Erzeugnisse und gründete bis 1907 in repräsentativsten Lagen deutscher Großstädte 11 exklusive Niederlassungen als Zweigstellen. Am 09.08.1906 wandelte Steiner seinen Betrieb in die Paradiesbettenfabrik M. Steiner & Sohn Aktien – Gesellschaft um. Die Markenbezeichnung „Paradies“ ließ sich Steiner ebenfalls durch das Kaiserlich Deutsche Patentamt schützen. Die Belegschaft wuchs von 250 Beschäftigten im Jahre 1897 auf 600 Mitarbeiter im Jahre 1922. Ernst Ottomar Steiner starb am 27.06.1921. Nachfolger wurde sein Schwiegersohn Rudolf Nendel. Die Aktiengesellschaft bestand bis zum Ende des II. Weltkrieges.

Mit einer Volksabstimmung am 30.06.1946 wurde auch die Paradiesbettenfabrik M. Steiner & Sohn AG enteignet und am 01.07.1948 in „Volkseigentum“ überführt. Zunächst produzierte man weiter Schlafraummöbel und nach einer Veränderung der Produktionspalette nannte man den Betrieb in VEB LISEMA(Anfangssilben der Worte Liegen, Sessel, Matratzen) um. 1987 hatte die Warenproduktion des Betriebes die Höhe von etwa 100 Mio. DDR-Mark erreicht.

Mit der politischen Wende wurde schnell klar, dass die DDR-Möbelindustrie mit insgesamt 914 Betrieben und 85.000 Beschäftigten nicht so weiter bestehen konnte. Das Geschäftsjahr 1991 brachte dem Treuhandbetrieb LISEMA GmbH mit seinen 190 Mitarbeitern trotzdem einen Umsatz von rund 15 Millionen D-Mark.

Am 02.07.1992 privatisierte die Treuhandanstalt die LISEMA GmbH. Eigentümer wurde die Poly Products LLC/ Sultanat Oman, die den Fortbestand von 170 Arbeitsplätzen und Investitionen in Millionenhöhe für neue Produktionsstätten und Arbeitsmethoden ankündigte. Am 16.05.1994 erfolgte die Inbetriebnahme einer neuen, 3200 m2 großen und 3 Mio. DM teuren Produktionshalle.

Am 06.06.1995 überraschte eine Pressemitteilung, dass die LISEMA GmbH mit noch 134 Mitarbeitern, die Gesamtvollstreckung beantragt hatte. Ursache waren Liquiditätsschwierigkeiten und nicht getilgte Altschulden sowie große Außenstände. Am 22.12.1995 stellte die Firma per Gerichtsbeschluss nach 148 Jahren ununterbrochener Produktion ihre Existenz in Frankenberg/Sachsen ein.

Die Paradiesbettenfabrik M. Steiner & Sohn Aktien – Gesellschaft wurde nach 1945 in München weitergeführt. 1965 erfolgte die Übernahme dieser Firma durch die Gebrüder Kremers GmbH, Neukirchen-Vluyn am Niederrhein. Am 27.08.1971 beantragte dieses Unternehmen beim Deutschen Patent- und Markenamt der BRD auf Basis des Steinerschen Markeneintrags „Paradies“ von 1903, die Übernahme dieser Marke. Die Genehmigung ermöglichte den Weiterbestand des in Frankenberg/Sachsen geprägten und heute noch international verbreiteten Qualitätsbegriffes der Marke „Paradies“.

Möge die Paradiesbettenfabrik Steiner & Sohn/LISEMA in der Frankenberger Erinnerung als einer der größten Arbeitgeber der Stadt im Gedächtnis bleiben.

In der zur Landesgartenschau 2019 einzurichtenden Blumenausstellungshalle, die aus der ehemaligen LISEMA- Produktionshalle von 1994 hervorgehen wird und die später als Zeit-Werk-Stadt der Stadt Frankenberg nachgenutzt werden soll, nimmt sicher die Technikgeschichte der Bettenproduktion in unserer Stadt einen würdigen Raum ein!

 

Dr. Bernd Ullrich/Stadtchronist