Sandra Saborowski, Bildungsmanagerin
Markt 15
09669 Frankenberg/Sa.
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Am 16.10.1913 eröffnete die Handelsfirma I. Schocken Söhne Zwickau in Frankenberg eine Filiale am Baderberg, welche zu diesem Zeitpunkt das neunte Haus des Konzerns war.
Die Geschäftsidee der Eigentümer sah den Einkauf größter Mengen an Waren vor, um günstig verkaufen zu können. Unter Warensortiment verstanden die Gründer aber nicht ein möglichst reichhaltiges, sondern ein an der Nachfrage der Kunden orientiertes Angebot, verbunden mit einer hohen Qualität der Artikel, festen und niedrigen Preisen, sowie einem Kunden-Service.[1]
In der Anfangszeit wurden Waren in 18 Abteilungen angeboten:
Kurzwaren, Besätze, Bänder, Knabenkonfektion, Berufsbekleidung, Strumpfwaren, Handschuhe, Herrenartikel, Wäsche, Korsetts, Unterzeuge, Hüte, Mützen, Schürzen, Schuhwaren, Filzschuhwaren, Handarbeiten, Schreibwaren, Noten, Wollwaren, Schmuckwaren, Lederwaren, Damenputz, Seifen, Parfümerien, Blusen, Röcke, Kinderkonfektion, Zuckerwaren, Spielwaren, Lebensmittel, Delikatessen, Möbelstoffe, Gardinen, Baumwollwaren[2]
Nach dem 1. Weltkrieg gelang es dem Konzern trotz Inflation, Währungsverfall und großer Preissteigerungen mit Hilfe umfangreicher Geschäftsverbindungen günstige Abschlüsse zu tätigen, die wiederum den Kunden zugutekamen, wobei die Jahre 1924-1930 die erfolgreichsten in der Geschichte des Konzerns gewesen sein dürften. Durch die weitsichtige Strategie des Konzerns wuchs der Kundenkreis, welcher von einem fähigen Personal betreut wurde, ständig.[3]
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 begann deren Kampf gegen jüdische Geschäftsinhaber. Vor dem Kaufhaus Frankenberg kontrollierten SA-Posten die Personalausweise der Kunden und versuchten, diese am Betreten zu hindern. Am 1.4.1933 erfolgte in der Presse die Ankündigung zum Beginn des Boykotts jüdischer Geschäfte. Betroffen waren alle Verkaufsstellen, Warenhäuser, Lieferfirmen, Kanzleien, Arztpraxen, Banken, die Frankfurter Börse. Unverhohlen äußerte die Nazi-Regierung, daß wir die Warenhäuser, Einheitsgeschäfte usw. nicht nur bekämpfen werden, wir werden sie vernichten.[4]
Um dem zu entgehen und um den Anschein der „Arisierung“ zu erzeugen, übernahm Mitte des Jahres 1936 eine britische Bankengruppe die Mehrheit des Besitzes, während eine starke Minderheit und ein Teil des Grundbesitzes in der Hand von Salman Schocken verblieben.[5]
Am 9.11.1938 erreichte die Reichsprogromnacht auch Frankenberg. In der Mittagszeit dieses Tages wurden von SA und beteiligtem Mob unter Beteiligung von Schaulustigen die Eingangstür des Kaufhauses Schocken zerstört und die Schaufensterscheiben des Kaufhauses zerschlagen. Regale wurden ausgeräumt und Bekleidung auf die Straße geworfen, worauf die Angestellten am nächsten Tag die Scherben beseitigen mussten.[6]
Im Laufe des Jahres 1938 folgte die vollständige „Arisierung“ des Konzerns durch den Verkauf an eine deutsche Bankengruppe unter der Führung der Deutsche Bank AG und der Reichs-Kredit-Gesellschaft AG, beide mit Sitz in Berlin, und damit die faktische Enteignung. Auf Beschluss der Hauptversammlung vom 9.12.1938 führte die Schocken AG ab Januar 1939 den Namen Merkur Aktiengesellschaft. Die Funktionsfähigkeit des Unternehmens konnte auch während der Kriegsjahre 1939–1945 erhalten werden. In Sachsen wurden im Jahr 1946 alle sächsischen Filialen der Merkur AG per Volksentscheid zu Gunsten des neu gegründeten Landes Sachsen enteignet und Ende des Jahres 1948 dem Verband Sächsischer Konsumgenossenschaften angeschlossen.[7]
Das Warensortiment bestand nun hauptsächlich aus Konfektion und Haushaltwaren.
1998 wurde das Kaufhaus endgültig geschlossen und das Gebäude Baderberg Nr. 13 nach Jahren des Leerstandes und der Verwahrlosung im Jahr 2015 durch die Stadtverwaltung Frankenberg abgerissen.
[1] Fuchs, Konrad, Ein Konzern aus Sachsen Das Kaufhaus Schocken als Spiegelbild deutscher Wirtschaft und Politik 1901 bis 1953 (Im folgenden zitiert: Kaufhaus Schocken), Stuttgart 1990, S. 30ff.
[2] Frankenberger Tageblatt Bezirks-Anzeiger, Nr. 242 vom 17.10.1913 und Hainichener Anzeiger, Nr. 122 vom 29.5.1914.
[3] Fuchs, Konrad, Kaufhaus Schocken, Stuttgart 1990, S. 132ff.
[4] Fuchs, Konrad, Kaufhaus Schocken, Stuttgart 1990, S. 194; Mittweidaer Tageblatt, Nr. 78 vom 1.4.1933 und Frankfurter Zeitung vom 27.4.1933, S. 4.
[5] Fuchs, Konrad, Kaufhaus Schocken, Stuttgart 1990, S. 228.
[6] Information von Siegfried Naumann, Frankenberg.
[7] Fuchs, Konrad, Kaufhaus Schocken, Stuttgart 1990, S. 253ff.
Kunst: Hanna Siebenborn, Pobershau, Einkaufstasche, Edelstahl, 2018
Text: Dr. Reinhard Jeromin